Löhne erhöhen, Arbeitsbedingungen verbessern, Branchenindex einführen.
Eine Expertenrunde will einen Paradigmenwechsel, entwickelt Maßnahmen zur Sicherung der Fachkräfte im ÖPNV und wirbt um Unterstützung beim Landtagsabgeordneten Rauer
Unter dem Titel „Fachkräftemangel als limitierender Faktor der Verkehrswende“ hatte die Kreistagsfraktion der Grünen zu einem Fachgespräch ÖPNV eingeladen. Zu Gast waren Vertreter der Minden-Herforder Verkehrsgesellschaft, dem Verkehrsverbund OWL, der IHK und der Arbeitsagentur und vor allem der diversen Busunternehmen, die den ÖPNV im Kreis Minden-Lübbecke und der Region umsetzen. „Wir wissen, dass die Beteiligten aus den Verkehrsorganisationen sich auch eine Verkehrswende wünschen“ erklärt Dr. Petra Spona vom Fraktionsvorstand der Kreisgrünen. „Aber bevor man an den Ausbau von Linien und Taktzeiten gehen kann müssen wir darüber sprechen, wie wir die akuten Probleme in den Griff kriegen“ fährt Spona fort. „Deshalb haben wir die Fachgespräche initiiert, das letzte im Dezember zum Thema Finanzierung und das heutige zum Thema Fachkräftemangel, da dieser bereits jetzt zunehmend zu Einschränkungen von Verkehrsleistungen führt“.
Dirk Köstring vom Busunternehmen Stoffregen stellte einleitend die Probleme der Branche aus Sicht eines Verkehrsunternehmens vor. Ein Verdienst von je nach Tarif teils nur 14 bis 15 Euro Stundenlohn sei deutlich zu wenig, insbesondere für Berufe mit hoher Verantwortung wie Busfahrer. Ein schlechtes Image des Berufs und leider auch gehäuft rüpelhaftes Verhalten von Reisenden mache den Fahrern zusätzlich zu schaffen. Unattraktiv aber im ländlichen Raum berufstypisch seien zudem die geteilten Dienste: Morgens und Mittags seien durch den Schülerverkehr Spitzenzeiten abzudecken, dazwischen liegen teils längere Pausen und damit schlecht nutzbare, unbezahlte Zeiten. Hinzu kämen Wochenendarbeit und Spätdienste. „Vor diesem Hintergrund ist verständlich“ resümiert Köstring, „dass der Beruf Busfahrer derzeit kein Traumberuf mehr ist.“ Nicole Reinhardt von der Arbeitsagentur Herford untermauerte die Schwierigkeiten der Unternehmen, am Arbeitsmarkt Personal zu finden, mit Statistiken. Im Bereich Berufskraftfahrer – neben Busfahrern auch Lkw-Führer – bestehe Vollbeschäftigung am Markt und in den nächsten zehn Jahren werden knapp 38% der Mitarbeiter aus Altersgründen ausscheiden. Damit stehe die Branche auf Platz 1 der altersbedingten Arbeitsplatzverluste.
Friedrich Pieper, Inhaber des Busunternehmens Pieper und aktiv im Verband nordrheinwestfälischer Busunternehmen wies darauf hin, dass der Verband bereits Gespräche mit ver.di aufgenommen habe, um eine Lohnsteigerung zu erreichen. Auch Stephan Malenica, Geschäftsführer der TWV Teutoburger Wald Verkehr berichtete von einem Vorschlag an verd.di, für eine Lohnerhöhung von 25% einzutreten – so verkehrt sei mittlerweile die Welt im Zeitalter des Fachkräftemangels. Solche Steigerungen seien nötig, müssten aber auch finanziert werden über die Aufgabenträger und damit letztendlich auch die ÖPNV-Pauschalen des Landes. Generell wünschte sich die Runde, dass das Land den ÖPNV in ländlichen Regionen deutlicher unterstütze, indem bei der Berechnung der Zuschüsse stärker die Fläche berücksichtigt werde, als die Einwohnerzahl. Diese Forderung fiel auf Verständnis beim aus Hüllhorst stammenden Sprecher für Arbeit der grünen Landtagsfraktion Benjamin Rauer, der berichtete, dass sich auch die schwarz-grüne Landesregierung intensiv mit dem Thema Arbeits- und Fachkräftemangel auseinandersetze. Er möchte vor allem die Forderung nach einem Branchentarif bzw. Branchenindex für Berufskraftfahrer als Aufgabe in die Landesebene hineintragen. Diese Maßnahme könne, so hoffte die Expertenrunde, die Fluktuation innerhalb des Berufsstandes verringern, die dadurch entstehe, dass der Stundenlohn von Berufskraftfahrer in unterschiedlichen Tarifsystemen bis zu 6 Euro differiere. Hinzu komme das Problem, dass der Abstand zum Mindestlohn durch dessen Anhebung von 9,60 auf 12 Euro geschrumpft sei. Arbeitgeber in schlechter bezahlten Tarifsystemen hätten es dadurch besonders schwer, ihr Personal zu halten. Einfach übertariflich zu zahlen sei für Eigen- wie Gemeinwirtschaftler nicht einfach ohne weiteres möglich, darauf hatten Köstring und Piepernoch einmal hingewiesen.
Oliver Gubela, Kreiswirtschaftsförderer und Verbandsvorsteher des VVOWL verwies auf flankierende Maßnahmen im VVOWL und im Kreis Minden-Lübbecke. Da den Einzelnen bei ihren Möglichkeiten oft die Hände gebunden seien, im Verbund jedoch einiges machbar sei, habe der VVOWL aktuell zwei Stellen geschaffen, die beratend und vernetzend zum Thema Fachkräfteförderung aktiv werden sollen. Im Kreis gebe es bereits eine Zusammenarbeit mit dem Jobcenter vor allem im Bereich Erwerb von Führerscheinen, zukünftig sollen noch Projekte ergänzt werden, um Interesse am Beruf zu generieren und Abbrüche im Bereich Umschulung zu verringern. Unterstützungsmaßnahmen im Kreis müssten zusammengeführt und dem Thema Fachkräftemangel Priorität eingeräumt werden. Daneben müssten die Kommunen als Aufgabenträger mehr in den Fördergrund rücken, durch entsprechende Vertragsstrukturen bei der Ausschreibung Öffentlicher Dienstleistungsaufträge an Verkehrsunternehmen eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten zu erreichen. Dass aber auch die Kommunen nicht frei entscheiden können, wie sie die Verträge hinsichtlich der Fahrerlöhne gestalten, machte Achim Overath, Geschäftsführer der Minden-Herforder Verkehrsgesellschaft, anhand des Tariftreue- und Vergabegesetzes deutlich. Es sei grundsätzlich sehr positiv, dass damit für Ausschreibungen und Vergaben die Löhne der Dienstleister an ihre Beschäftigten in Höhe bestehender Tarife festgesetzt werden können. Aber das Beihilfen- und Vergaberecht lasse nach einer Vergabe keine Wahl, die Zahlung in laufenden Verträgen gemäß einem bestehenden höheren Tarif vorzuschreiben. Dem stehe auch die verständliche Pflicht entgegen, mit öffentlichem Geld ökonomisch umzugehen. Dadurch werde aber die bessere Bezahlung durch Hilfen der öffentlichen Hand, wie es bei der jetzigen Lage eigentlich nötig sei, erschwert oder gar verhindert. Auch bei diesem Thema bestehe also Handlungsbedarf, waren sich die anwesenden Verkehrsexperten einig und gaben das Thema Benjamin Rauerzur Thematisierung in Düsseldorf mit.
Matthias Haake von der Ferienfahrschule Zöllner und Uwe Gößling von der IHK stellten Aspekte des Aus- und Fortbildungsweges zu Busfahrern vor. Während traditionell eine eher kürzere Weiterbildungsmaßnahme auf einem vorhandenen LKW-Führerschein aufsetzte und damit zeitlich und finanziell überschaubar gewesen sei, fehle heutzutage die Klientel dafür, erklärte Haake. Der Hintergrund sei der Wegfall der Wehrpflicht, innerhalb derer eine ausreichende Menge Soldaten den Lkw-Führerschein erworben hätten. Hinzu kämen vermehrt sprachliche Probleme. Während die Fahrerlaubnisprüfungen auch in verschiedenen Fremdsprachen möglich seien, ergänzte Gößling, sei die parallel abzuleistende IHK-Prüfung nur in Deutsch möglich. Als Berater für Reisende bleibe ein grundlegendes Sprachniveau, aktuell liegt es bei B1, auch eine wichtige Qualifikation für Busfahrer, waren sich die Experten einig. Gerade für geflüchtete Menschen oder für Arbeitskräfte aus dem Nicht-EU-Ausland bleibe aber die Erlangung einer Sprachqualifikation ein Problem. Begrüßt wurde die Anregung vonBenjamin Rauer, Ausbildung und Prüfung daraufhin zu untersuchen, inwiefern verständliche Alltagssprache eingesetzt werde, da das in Deutschland verbreitete Verwaltungsdeutsch Nicht-Muttersprachlern das Verständnis erheblich erschwere. Eine mögliche Abhilfe sah die Expertenrunde auch in einer Kombination von Teilzeitqualifizierung und intensiven begleitenden Sprachkursen. Teilzeitqualifizierung werde auch immer wieder von Bildungsträgern ins Spiel gebracht, die hier gerade im Bereich Gewinnung von Frauen als Mitarbeiterinnen Bedarf sehen. Uwe Gößling brachte ins Spiel, die Gruppenqualifizierung „Frauen in Fahrt“ noch einmal aufzulegen. Nicole Reinhardt von der Agentur für Arbeit Herford stellte verschiedene Fördermöglichkeiten für Umschulungen und Weiterbildungen auch für Interessierte aus der EU und Drittstaaten vor, von denen einige bei den Anwesenden noch nicht bekannt waren und auf großes Interesse stießen.Benjamin Rauer richtete ergänzend den Blick auf die bereits hier lebenden geflüchteten Menschen, denen man durch Integration in den Arbeitsmarkt eine Perspektive bieten müsse. So könne man eine Win-Win-Situation schaffen für den ÖPNV als Daseinsvorsorge, die Verkehrswende als Maßnahme gegen den Klimawandel und die vor Krieg und Verfolgung geflohenen Menschen. Aus den zusammengestellten Optionen für spezielle Zielgruppen ergab sich die Verabredung der Runde, in einer Folgeveranstaltung auf Einladung der mhv die Möglichkeiten zu vertiefen, konkret auszuarbeiten und möglichst zügig einzuleiten.
Die Expertenrunde stellte eine Liste von Maßnahmen zusammen, an deren Umsetzung zukünftig weitergearbeitet werden soll. Ein zentraler Punkt war die Forderung danach, die geteilten Dienste deutlich zu reduzieren. Statt der bisherigen Tendenz zu folgen, weitere Busse zu streichen, müsse man aber den Mut aufbringen und das Geld in die Hand nehmen, die Zeiten zwischen den Spitzen aufzufüllen, um geteilte Dienste zu verhindern und den Job „Busfahren“ deutlich attraktiver zu machen. Damit werde ein viel besseres Fahrplanangebot im ÖPNV für die Nutzer geschaffen und die Pausenzeiten bei den Fahrern aufgefüllt, war der herrschende Tenor. Zudem müsse bei den Schulleitungen, bei Eltern und Kommunalen Verwaltungsspitzen das Verständnis wachsen, Schulanfangszeiten flexibler zu gestalten. Schulen nacheinander anzufahren könne die notwendige Zahl an Bussen und Fahrern deutlich verringern helfen und damit den Schulverkehr sichern war sich die Runde einig. Um diese beiden Forderungen umzusetzen sei aber ein „Paradigmenwechsel in den Kommunen“ nötig, brachte es Achim Overath von der mhv auf den Punkt. Auch Stefan Honerkamp, Geschäftsführer des VVOWL, berichtete von Erfahrungen, die zeigen, dass die Schärfe des Problems noch nicht bis zu den Bildungsverantwortlichen durchgedrungen sei, mit denen man jedoch möglichst bald eine Einigung erzielen müsse.
Sowohl Veranstalter als auch Gäste zeigten sich sehr zufrieden über den gelungenen Austausch. „Es war ein sehr offenes, sehr ideenreiches Treffen, das gute, konkrete Ansätze zur gemeinsamen Bearbeitung von Problemen erbracht hat und den notwendigen Funken Optimismus gezündet hat, die Probleme durch eine gemeinsame Bearbeitung zukünftig lösen zu können“ fasste Melanie Hövert, verkehrspolitische Sprecherin der Kreistagsfraktion zusammen. „Wir brauchen einen leistungsfähigen ÖPNV – als Teil der Daseinsvorsorge und als Fundament eines wirksamen Klimaschutzes und dazu müssen alle Beteiligten in die Lage versetzt werden, ihren Teil beizutragen. Wir Grüne freuen uns, Initiatoren dieses Aufbruchs zu sein und werden den Prozess weiter begleiten.“
Anlage: Foto: V.l.n.r.: Stephan Malenica (TWV), Matthias Haake (Fahrschule Zöllner), Dörte Jungnitsch (Sandmöller-Reisen), Dr. Petra Spona (Grüne Kreistagfraktion), Uwe Gößling (IHK), Melanie Hövert (Grüne Kreistagsfraktion), Nicole Reinhardt (Agentur für Arbeit, Herford), Benjamin Rauer (MdL, Grüne), Dirk Köstring (Stoffregen), Ralf Bornmüller (mhv), Tobias Jungnitsch (CDU Stemwede), Friedrich Pieper (Pieper-Omnibusverkehr), Achim Overath (mhv), Stefan Honerkamp (VVOWL), Bildschirm: Sandro Bohm (Schniering).
Foto: Daniela Giannone