Die Verkehrswende ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
„Ist der ÖPNV noch finanzierbar?“ war die Veranstaltung überschrieben, bei der sich auf Einladung der GRÜNEN Kreistagsfraktion am 02.12.2022 Verkehrsexperten aus regionalen Verkehrsorganisationen und aus den Parteien CDU und Grüne des Kreises Minden-Lübbecke zu einem fachlichen Austausch mit der Landtagsabgeordneten und nahverkehrspolitischen Sprecherin der Grünen Laura Postma trafen.
Melanie Hövert, verkehrspolitische Sprecherin der grünen Kreistagsfraktion, erläuterte, die Veranstaltung verfolge das Ziel, auf Landesebene für die wachsenden Probleme der Organisation und Finanzierung des Öffentlichen Verkehrs Gehör zu finden. „Die breite Medienpräsenz des 49 €-Tickets und die langen Verhandlungen um seine Finanzierung zeigen ein gewachsenes Bewusstsein für die Notwendigkeit eines gut funktionierenden Öffentlichen Verkehr als Teil der Daseinsvorsorge und zugunsten des Klimaschutzes. Aber es müssen jetzt auch konkrete Taten im Sinne einer sicheren Finanzierung folgen, sonst droht einigen Kommunen die Haushaltssicherung“ macht Hövert eindringlich klar.
Oliver Gubela, Verbandsvorsteher des Verkehrsverbundes OWL (VVOWL) gab einen Überblick über die sich zuspitzende Situation im Öffentlichen Nahverkehr. So sei die Finanzierung gerade im Öffentlichen Busverkehr nicht ausreichend, um die steigenden laufenden Kosten zu decken. Der für die Verkehrswende so nötige Ausbau der Mobilität mit mehr Linien und einem Halbstundentakt rücke durch die anstehenden zusätzlichen Belastungen in immer weitere Ferne. Besorgniserregend sei neben kostensteigernden Faktoren wie der Energiekrise vor allem der Fachkräftemangel im Bereich Busfahrer und Zugführer. Gubela zeichnet hier ein düsteres Bild von der aufziehenden Entwicklung: „Verkehrsleistungen fallen leider immer wieder aus, weil kein Personal mehr vorhanden ist, und bei diesem Trend stehen wir erst am Anfang“.
Achim Overath, Geschäftsführer der Minden-Herforder Verkehrsgesellschaft, stellte die Folgen der Kostensteigerungen für die Kommunen in den Vordergrund. Nach einer Prognose für das Jahr 2023 im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 werden die Kosten für den Nahverkehr für die Kreise Herford und Minden-Lübbecke um das 11-fache gestiegen sein. Die Kosten übersteigen inzwischen überall die Einnahmen aus dem Betrieb. Fördergeld von Bund und Land dagegen stagniert, so dass wachsende Defizite entstehen, die letztendlich bei den einzelnen Städten und Gemeinden hängen bleiben. Overath rechnete am Beispiel Stemwede als einer typisch ländlichen Kommune vor, wie die Situation im Jahr 2028 aussehen würde: „Wenn Verkehrswende ernst genommen werden soll, die Finanzierung des Nahverkehrs so weiterläuft wie bislang und auch die Finanzierung des Deutschlandtickets nicht dauerhaft von Bund und Land zugesichert wird, dann zahlt bei der derzeitigen Kostenentwicklung die Gemeinde Stemwede mit ihren rd. 13.000 Einwohnern für Schülerverkehr und Defizitausgleich im Jahr 2028 allein für den Nahverkehr 2,8 Mio Euro aus der kommunalen Kasse. Das ist nicht zu stemmen!“ machte Overath nachdrücklich deutlich. „Hier müssen Land und Bund dringend reagieren. Das 49-€-Ticket ist sehr zu begrüßen, denn es ist eine historische Chance auch für den ländlichen Raum, aber es darf langfristig nicht auf dem Rücken der Kommunen eingeführt werden“ schließt er den Hilferuf.
Laura Postma versicherte, dass über die Finanzierung derzeit im Rahmen der Haushaltsberatungen im Landtag intensiv debattiert würde und sie die vorgebrachten Sorgen verstehe. Sie könne aufgrund der laufenden Verhandlungen im Land noch nicht ins Detail gehen, jedoch sei mittlerweile immerhin gesichert, dass zumindest die beschlossene Strompreisbremse des Bundes nun auch für Verkehrsunternehmen gelte. Zudem haben die Grünen gemeinsam mit der CDU im Koalitionsvertrag festgehalten, den Weg zu ebnen, Drittmittel in den Öffentlichen Verkehr einbringen zu können. Dann wäre es Kommunen möglich, Abgaben für den ÖV zu erheben, z.B. im Rahmen der Parkraumbewirtschaftung. Sie versprach, die Fülle an Aspekten mit nach Düsseldorf zu nehmen und sich in diesem Sinne weiter für die Verkehrsorganisationen einzusetzen.
Die Veranstalterinnen Melanie Hövert und Dr. Petra Spona zeigten sich äußerst zufrieden mit dem Ergebnis des Fachgesprächs. „Uns war es darum gegangen, den Verkehrsexperten eine Plattform zu bieten, über die bedrohliche Lage zu sprechen und das ist wirklich angekommen – sowohl bei Vertretern im Land, als auch bei den Teilnehmern aus den Kommunen, die im nächsten Jahr mit der Thematik vor Ort konfrontiert werden“ erklärte Hövert. „Deutlich geworden ist außerdem“ ergänzt Spona, „dass es nicht allein um die sichere Finanzierung des Tickets geht. Das Deutschlandticket kann nur erfolgreich Menschen vom Auto in Bus und Bahn bringen, wenn auch noch Geld für den steten Ausbau des Angebots bleibt.“ Eine Fortführung der Gespräche ist in Planung.
Foto: V.l.n.r.: Stefan Honerkamp (VVOWL), Melanie Hövert (Grüne), Achim Overath (mhv), Oliver Gubela (VVOWL), Dr. Petra Spona (Grüne), Laura Postma (MdL, Grüne). Foto: Benjamin Rauer